Büros in Kobaltblau

Wenn ich das Wort „Kobalt“ höre, dann denke ich vorrangig an zwei Dinge: Zum einen erinnere ich mich daran, dass das Pferd der Titelfigur in der „Conny“ diesen Namen trug, einer Zeitschrift, die ich als junge Pferdenärrin zu lesen pflegte. Zum anderen fällt mir dabei ein Kasten Ölkreiden ein, die mit staubiger Pappe umwickelt sind, auf der man klangvolle Namen findet wie „Chromgelb“ oder eben „Kobaltblau“. Soweit wären das ganz angenehme Erinnerungen.

Woran ich deutlich weniger gern denke, das ist weder eine Erinnerung noch angenehm; die einzige Parallele zum zuvor Genannten besteht darin, dass es sich wieder um ein Gedankenduo handelt. Es ist dies einerseits die simple Tatsache, dass auf dem EZN-Gelände Kobalt lagert (so äußerte sich Herr Dr. Eckert zuletzt im Mai gegenüber seinen Aktionären), und andererseits die Erkenntnis, dass bestimmte Isotope des Kobalts radioaktiv sind. Nicht diejenigen, die sich im Farbkasten oder als Pigmente in den berühmten „Bristol Blue“-Glaswaren befinden – die sind, so heißt es, nicht einmal giftig, weil sie chemisch gebunden sind. Aber mit ziemlicher Sicherheit diejenigen, die auf dem Thuner Gelände lagern, wenn man sich mal ansieht, was ein Gedächtnisprotokoll zur Hauptversammlung EZNs besagt:

Frage: Welche plutoniumhaltigen Stoffe/Gebinde und welche sonstigen Neutronenstrahler wurden in den letzten Jahren am Standort Thune gelagert? Bitte um genaue, chronologische Auflistung, was dort gelagert wurde und wann […].

Antwort: Genaue Angaben werden aus Gründen der schon erwähnten Wettbewerbsnachteile nicht gemacht. Lediglich könne er sagen, dass auf dem Braunschweiger Gelände u. a. in der Tat Plutonium 239, Krypton, Cäsium und Kobalt vorhanden seien.

An dieser Auflistung erscheint mir weiterhin besonders zynisch der Hinweis auf die Wettbewerbsnachteile. Eigentlich müsste der größte Wettbewerbsnachteil sein, dass die Firma in einem Wohngebiet steht, Mensch und Umwelt belastet und gefährdet und mit Sicherheit nicht mehr im Geheimen alles durchsetzen kann, was sie will… Hoffe ich.

Manchmal habe ich aber einen ganz anderen Eindruck. Und diese Aussage gilt nicht nur für das ungute Gefühl, das ich angesichts der Tatsache verspüre, dass die überdimensionierte Umgangsgenehmigung aus dem Umweltministerium, also von „ganz oben“ kam, was die Frage nach möglicher landespolitischer Weichenstellung impliziert. Nein, es geht auch um äußerst lokale Angelegenheiten.

Warum beispielsweise hat der Bezirksrat Wenden-Thune-Harxbüttel vor wenigen Tagen den Antrag GE Healthcares, also der Firma, die EZN Räumlichkeiten vermietet, mit nur einer Gegenstimme gutgeheißen, obwohl eigentlich eine Veränderungssperre vorliegt? Ich denke, man dachte sich in etwa Folgendes.

  • Die Veränderungssperre ist nur mit der Klausel durchgekommen, dass die anderen Firmen auf dem Gelände bauen dürften. (Stimmt.)
  • Wenn wir GE nicht gestatten zu bauen, gefährden wir die Veränderungssperre. (Dass der Punkt eine Rolle gespielt hat, wurde mir zugetragen; mir persönlich leuchtet er nicht ein.)
  • Büroräume sind ungefährlich. (Stimmt.) Alles andere ist Spekulation. (Stimmt. Aber durch Erfahrungswerte gestützt – und nur einen Tag später stellten sich unsere Befürchtungen als begründet heraus!)
  • Wenn man GE nicht gestattet zu bauen, sieht es aus, als hätten wir etwas gegen alle Firmen, die mit Radioaktivität arbeiten. (Und? Ist das verboten? Es wäre eine politisch mutige Entscheidung, zu verdeutlichen, dass künstliche Radioaktivität in einem Wohngebiet nichts zu suchen hat – und nebenbei auch, dass man bei extremen natürlichen Werten ebenfalls Warnungen auszusprechen bzw. keine Wohngebiete auszuweisen hätte.)

Was aber gegen die Annahme des GE-Antrages gesprochen hätte und meiner Meinung nach viel schwerer wiegt, ist – abgesehen von dem, was die BISS im Offenen Brief bereits genannt hat – Folgendes:

GE stellt einen Antrag auf Bürogebäude. EZN hat angekündigt, dasselbe tun zu wollen. EZN nutzt sämtliche rechtlichen Mittel aus, um das durchzusetzen, was wir zu verhindern versuchen. Das heißt: Sie bewegen sich im legalen Bereich, aber sie haben dabei Hintergedanken. Und sie würden bestimmte Dinge nicht tun, wenn sie nicht wüssten, dass unter „normalen“ Umständen diese Vorhaben durchgewunken werden müssten.

Man frage sich beispielsweise, weshalb EZN den Besichtigungstermin für den Bezirksrat auf einen Tag nach der Bezirksratssitzung gelegt hat, weshalb sie weiterhin Nicole Palm – Umweltpolitische Sprecherin der SPD im Braunschweiger Stadtrat – und Peter Rosenbaum – Fraktionsvorsitzender der BiBS im selben Gremium -, die daran teilnehmen sollten (und in der Vergangenheit mehr als verdeutlicht haben, dass EZN Grenzen überschritten hat), wieder ausgeladen haben und weshalb sie dann ausgerechnet zu diesem Termin bekanntgegeben haben, dass sie selbst auch einen Antrag stellen werden. Da wird gleich viel klarer, weshalb Herr Dr. Eckert sich zuvor so vehement für den GE-Antrag eingesetzt hatte!

Weiterhin stelle man sich vor, der GE-Antrag würde im Stadtrat durchgewunken, was ja äußerst wahrscheinlich ist, jetzt, da nicht einmal der zuständige Bezirksrat hörbare Bedenken geäußert hat. Wie will man dann den Antrag auf eigene Bürocontainer, den EZN stellen wird, ablehnen? Das könnte rechtlich äußerst schwierig werden, denn ein solches Vorgehen wäre als Verhinderungssperre deutbar (wodurch das Ziel, mit dem Durchwinken des GE-Antrages die Veränderungssperre aufrecht zu erhalten, verfehlt würde!), und es wäre ja ein praktisch gleichlautender Antrag: Wer könnte gegen harmlose Bürogebäude etwas haben?

Genau da liegt aber der Hase begraben, denn wenn mehr Platz geschaffen wird, werden an anderer Stelle Räumlichkeiten frei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit solche, die geeignet sind, mit radioaktiven Materialien umzugehen und für die bereits Genehmigungen bestehen. Und dann? Bräuchte man nicht einmal eine Umnutzung zu beantragen, niemand außer vielleicht dem GAA würde es erfahren. Und dass die uns nichts sagen, sobald das Wort „Geschäftsgeheimnis“ fällt, wissen wir aus Erfahrung.

Dadurch wäre doch faktisch die Veränderungssperre konterkariert, die Firmen dürften dann Fakten schaffen, die ihren Bestandsschutz untermauern. Und zwar nicht nur GE Healthcare, sondern auch EZN, also die Firma, die uns 12 Jahre lang Plutonium vor die Nase gesetzt und öffentlich bekanntgegeben hat, es gäbe keine Kernbrennstoffe auf dem Gelände… Ich bin nicht begeistert, um es mal so zu sagen.

Eine geplante Podiumsdiskussion zwischen Herrn Dr. Eckert und Dr. Thomas Huk (BISS) wurde übrigens auf einen späteren Termin verlegt, weil Herr Dr. Eckert erst die Entscheidung des Planungs- und Umweltausschusses (PLUA) zum GE-Antrag abwarten will. Das klingt in meinen Ohren alles andere als strategielos, und es ist auch logisch: Wäre ich in seiner Position, und verträte ich seine Ansichten zu den Gefahren von Radioaktivität, würde ich vermutlich genauso handeln. Aber genau darauf sollten wir nicht mehr hereinfallen. Noch können wir versuchen, den PLUA zu überzeugen, dass dem Antrag nicht stattgegeben werden darf!

Was haben wir davon, wenn wir die Veränderungssperre rechtlich aufrecht erhalten, faktisch aber gebaut werden darf? Im schlimmsten Fall ein Räumchen-wechsle-dich-Spiel, das in abgeschirmten Räumen ein erhöhtes Maß an Strahlung freisetzt, von der für uns Bürger allenfalls der Gamma-Anteil, nicht aber der Neutronen-Anteil erkennbar sein würde. Dann wären wir wieder bei dem Fall: Keiner weiß was, keinen stört’s…

Bis auf diejenigen, die jetzt Büros bauen wollen, vermutlich in Kobaltblau. Vor kurzem habe ich den Artikel „Verantwortung? Fehlanzeige“ mit der verbal stärksten Darstellungsform für Unfassbares belegt, die ich kenne, nämlich mit „kafkaesk“. Dummerweise ist das nicht mehr steigerbar – höchstens noch durch das hier:

Kobaltblau. Äugig.
Gratulation.