Radioaktives Jod in Braunschweiger Wohngebiet: Erneute Freisetzung bei Zwischenfall unvermeidbar

– Pressemitteilung –

Reaktion der BISS auf die Antwort der Landesregierung zu den Fragen von Bündnis90/Die Grünen zum Störfall bei GE HealthCare Buchler am 22. November 2017

EDIT 10.07.2018: Zum selben Thema gibt es auch eine Pressemitteilung von Bündnis 90 / Die Grünen.

Radioaktives Jod in Braunschweiger Wohngebiet: Erneute Freisetzung bei Zwischenfall unvermeidbar

Die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 18/1215) lässt Fragen offen. Zwei Dinge werden hingegen deutlich: Erstens hätte der Störfall durch die Verwendung eines vorhandenen speziellen Transporttabletts verhindert werden können; dies sei jedoch unterblieben. Zweitens wäre bei einem erneuten Störfall mit radioaktivem Material, einschließlich der Möglichkeit eines auslegungsüberschreitenden Störfalls, eine weitere Freisetzung zwangsläufig.

Hintergrund: Im vergangenen November war es am Braunschweiger Atomstandort zu einem Störfall gekommen, bei dem Radioaktivität in das angrenzende Wohngebiet freigesetzt wurde. In der Produktionsabteilung war ein Atommüllbehälter, der mit hochradioaktivem Jod-131 gefüllt war, beschädigt worden.

Peter Meyer, Sprecher der Bürgerinitiative Strahlenschutz (BISS): „Die Landesregierung spricht davon, dass eine vollständige Rückhaltung der Radioaktivität bei Störfällen unmöglich ist. Die Auskunft klingt, als habe man nicht vor, an erkennbar mangelnden technischen Rückhaltevorrichtungen etwas zu ändern. Wieso verfügt ein Raum, in dem offenbar planmäßig mit radioaktivem Jod umgegangen wird, nur über einen Schwebstoff-Filter? Der ist für Jod-Dämpfe wenig zweckmäßig. Es ist laut Auskunft der Landesregierung auch nicht beabsichtigt, die radioaktive Abluft in den Laboren einzuschließen.“

Dass das Spezialtablett für den Transport nicht verwendet wurde, obwohl dies eine bestehende Sicherheitsvorschrift ist, erweckt kein Vertrauen. Zwar hat man nach diesem Störfall für den aktuell betroffenen Prozess unter anderem die bestehenden Vorschriften sicherheitstechnisch angepasst, aber menschliches Versagen ist nach wie vor nicht ausgeschlossen, und der Weg für freigesetztes radioaktives Jod-131 durch die Abluftanlage nach außen bleibt bestehen. Meyer dazu: „Die Antwort der Landesregierung lautet also eigentlich: ‘Die genehmigten Betriebsprozesse waren fehlerhaft und wurden verbessert. Wir können aber derzeit nicht verhindern, dass nochmal Jod zu Lasten der Bevölkerung freigesetzt wird – und wir sorgen auch nicht dafür, dass sich das ändert.’“

Die Frage, ob die von den Nuklearfirmen eingereichte Störfallanalyse einen vergleichbaren Störfall berücksichtigt habe, wird lapidar damit beantwortet, dass „Ereignisse mit deutlich höherer Freisetzung“ berücksichtigt worden seien. Die Bürgerinitiative hat dafür kein Verständnis. BISS-Sprecher Meyer: „Die Antwort lässt vermuten, dass dieser simple und die Bevölkerung direkt betreffende Störfall ‚Versagen eines Abfallbehälters mit direkter Abgabe der radioaktiven Abluft über die Schornsteine‘ gar nicht berücksichtigt wurde. Das stellt die ganze Störfallanalyse der Firmen infrage!“

Die Störfallanalyse für die gemeinsam von Eckert & Ziegler und GE HealthCare Buchler genutzten Labore liegt dem Umweltministerium seit 2012 vor. In diesem Zeitraum ist es den Atomfirmen nicht gelungen, den TÜV davon zu überzeugen, dass diese Untersuchung auf zutreffenden Annahmen beruht und ausreichende Sicherheit garantieren kann. Obwohl dieser Störfall fehlerhafte Betriebsprozesse nachweist, dürfen die Nuklearfirmen weiterarbeiten. Die Bürgerinitiative hat deshalb auf Basis offizieller Berechnungsverfahren einen eigenen Stresstest erstellt und prüfen lassen. Der BISS-Stresstest ist öffentlich einsehbar und zu dem Schluss gelangt, dass bei der Freisetzung von nur einem Tausendstel des genehmigten Inventars eine Evakuierung in bis zu 20 km Entfernung vom Nukleargelände erforderlich ist.

Die BISS zweifelt daran, dass die bislang geheim gehaltene Störfallanalyse der Nuklearfirmen angemessen ist. Die BISS fordert die Offenlegung der bislang geheim gehaltenen Störfallanalyse und zwingend zugleich die ernsthafte Einbeziehung des BISS-Stresstests durch das zuständige Landesumweltministerium.

Peter Meyer: „Der Störfall hat einmal mehr bewiesen: Firmen, die mit radioaktiven Stoffen hantieren, gehören nicht in ein Wohngebiet. Egal, wie viele Vorschriften es gibt: Menschliches Versagen ist nie ausgeschlossen. Gefährdet werden dadurch nicht nur die Mitarbeiter, die diese Arbeit freiwillig verrichten, sondern auch die eigentlich unbeteiligten Menschen im Umfeld. Und durch die Lage des Atomstandorts gefährdet ein Störfall immer auch die rund 1000 Kinder und Jugendlichen im benachbarten Schulzentrum. Da hat eine solche Anlage nichts zu suchen!“

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Anmeldeschluss 15.7. Sommerakademie: „Atomares Erbe – Herausforderungen für die nächste Generation“

7.-11. August 2018, Karlsruhe
Welches atomare Erbe hinterlassen wir künftigen Generationen? Dieser
Frage soll eine interdisziplinäre Gruppe junger WissenschaftlerInnen und
Studierender bei der Sommerakademie nachgehen.
Ausgewiesene ExpertInnen geben eine Einführung in die Probleme bei
Umgang und Lagerung radioaktiver Abfälle und zeigen berufliche
Perspektiven auf. Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen erarbeiten sie die
folgenden Themen.

Themen:
– Die Geschichte des atomaren Zeitalters
– Gesundheitliche Auswirkungen von Radioaktivität
– Was ist eigentlich Atommüll? Eine Bestandsaufnahme
– Technische Aspekte der Zwischen- und Endlagerung
– Ökonomische Aspekte des Atommüllproblems

Was gibt es noch?
– Exkursion zur Kerntechnischen Entsorgung Karlsruhe (KTE)

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Salzgitter macht es Braunschweig vor und entscheidet sich gegen eine weitere Prüfung des Interkommunalen Industrie- und Gewerbegebietes

Oberbürgermeister Ulrich Markurth hängt weiter am Interkommunalen Industrie- und Gewerbegebiet, aber der Rat der Stadt Salzgitter hat jetzt einen Schlussstrichgezogen.

2018-06-27_Pressemitteilung_Interkommunales-Industrie-Gewerbegebiet

Salzgitter hat sich gegen eine weitere Prüfung des Ackerlandes zwischen Salzgitter und Braunschweig (Stiddien/Timmerlah/Geitelde) als Wunschgebiet für ein neues Industrie- und Gewerbegebiet entschieden.

Damit können viele in der Umgebung aufatmen.

Hohe Transportaufkommen und Luftverschmutzung für ganz Braunschweig, Atommüllumschlagplatz für die Region Braunschweiger Land … all das ist jetzt erstmal vom Tisch. Aber wie lange?

Integriertes Stadtentwicklungskonzept desintegriert Atomthema

Am vergangenen Mittwoch fand im Zelt vor dem Braunschweiger Rathaus die Vorstellung der Ergebnisse von „Denk Deine Stadt“ statt. So lautet der öffentlichkeitswirksame Titel für den Prozess der Entwicklung eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes, das BürgerInnen die Möglichkeit gab, ihre Vorstellungen einzubringen. Die letztlich übriggebliebenen Ideen berücksichtigen diese Themen aber zumeist nur am Rande – wenn überhaupt.

Das ist alles, was bezüglich des Nuklearstandortes von zahlreichen Einwendungen aus der Bürgerschaft übrigblieb.

Die für die Zukunft Braunschweigs entscheidende Frage des Umgangs mit den Atomfirmen neben Schulen und Wohnhäusern fällt in der Hochglanzbroschüre zur Präsentation sogar vollständig hintenüber. Zwar landete auf einem Stellwandplakat der Satz „Konflikte zwischen Wohnen und Gewerbe lösen!“, aber es fehlt das entscheidende Wort: nuklear-, atom-, radioaktiv, davon liest man nichts. Darüber kann auch das Ausrufezeichen hinter der Forderung nicht hinwegtäuschen.

Wir fragen uns also weiterhin: Wie kann eine Stadt behaupten, im Sinne ihrer Bürger zu handeln, wenn in ihrem Entwicklungskonzept nicht einmal erwähnt wird, dass es deutlich risikoloser wäre, den Atommüll aus der unmittelbaren Umgebung von Schulen und Wohnhäusern zu entfernen? Die Entwicklung ist damit vorgezeichnet: Hin zu einer Erweiterung der bereits jetzt vorhandenen Atommülldrehscheibe und zu einer Erweiterung der Medizinsparte, die mit sehr hohen Strahlungswerten aufwartet.

Bund, Land und Stadt Braunschweig ignorieren die vom Standort ausgehenden Gefahren offensichtlich weiterhin, offenbar bewusst und langfristig planend.