Braunschweiger Nukleargelände: Stresstest kann Atommüllwohnort verhindern

Der Stresstest der ESK: Eckert & Ziegler fällt durch

Im Jahr 2013 führte die Entsorgungskommission des Bundes (ESK) im Rahmen der Untersuchungen von AKWs und Zwischenlagern einen Stresstest für Eckert & Ziegler durch. Wegen der Nähe zur Wohnbebauung fiel Eckert & Ziegler in Braunschweig als einziger Standort in Deutschland bei dieser Untersuchung durch – obwohl dieser Test nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Gefährdungspotentials auf dem Gelände berücksichtigte. Die fehlenden Aspekte könnten nun in einem weiteren, spezifischen Stresstest begutachtet werden. Bislang ist allerdings der Wille dazu nicht erkennbar.

Nur Bruchteile betrachtet 

Der Stresstest der ESK bezog sich ausschließlich auf Eckert & Ziegler, also nicht auf GE Healthcare/Buchler, obwohl diese Firma ebenfalls mit radioaktiven Substanzen umgeht. Auch Eckert & Ziegler wurde nicht vollständig betrachtet: Es ging lediglich um die „Umweltdienste“, also den Atommüllanteil, der für die Entsorgungskommission von Relevanz war.

Dementsprechend wies die ESK in ihrem abschließenden Bericht darauf hin, dass eine Berücksichtigung des gesamten Geländes für eine Bewertung der Risiken unerlässlich sei. Dies wären z.B. mögliche Wechselwirkungen mit dem chemischen Inventar der Buchler GmbH, das zusätzliche radiologische Gefährdungspotential durch die Medizinsparte bei Eckert & Ziegler sowie die – im ersten Test nicht betrachtete – Firma GE Healthcare GmbH, die Nähe zum Forschungsflughafen und so weiter.

Bislang fehlt ein solcher weiterer Stresstest. Vor einigen Jahren kündigte das Niedersächsische Umweltministerium (NMU) zwar einen solchen Test an, dieses Bemühen wurde jedoch auf eine bloße Störfallanalyse heruntergeschraubt, die bei weitem nicht ausreichend ist, um das tatsächliche Risiko zu erfassen.

Aus diesem Grund ist die von der BISS erstellte Liste von Aspekten, die bei einem Stresstest zwingend zu berücksichtigen wären (und von einer Störfallanalyse eben nicht berücksichtigt werden) noch immer gültig. Diese Punkte und ihre jeweiligen Begründungen haben wir 2013 in einem Brief an den Niedersächsischen Umweltminister Wenzel aufgelistet.

Der Stresstest der ESK ist aber auch noch aus weiteren Gründen unvollständig: Sie geht von standardisierten („typisierten“) Annahmen aus. Deshalb weist die ESK selbst darauf hin, dass gegebenenfalls für konkrete Standorte nähere Betrachtungen der Situation vor Ort anzustellen sind. Dies ist für Braunschweig-Thune zwingend notwendig, denn:

Tatsache ist:

  • Die Annahmen des ESK-Stresstests II decken maximal weniger als 10 %, wahrscheinlich weniger als 1 % des bereits heute in Thune lagernden Inventars ab.
  • Die Annahmen des ESK-Stresstests II haben nur ca. 0,4 – 4 Promille der zu berücksichtigenden Aktivität zugrunde gelegt. Betrachtungen auf dieser Basis sind keinesfalls ausreichend. Daher muss eine Betrachtung auf Grundlage der erteilten Umgangsgenehmigungen erfolgen.
  • Es kann nicht angemessen sein, wenn die Einhaltung der Störfallplanungswerte zwar für Kernkraftwerke und für Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle gelten, für die Atomanlagen in Thune aber geringere Sicherheitsmaßstäbe angelegt werden. Ereignisse, die den Störfallplanungswert überschreiten, hätten in Thune aufgrund der besonders sensiblen Lage bei gleicher Freisetzung absehbar erheblich gravierendere Konsequenzen als an den meisten Atomkraftwerken, Zwischenlagern et cetera. Deren nähere Umgebung ist in der Regel nämlich nur dünn besiedelt.

Umweltministerium: Nur Störfallanalyse

Seit Jahren fordert die BISS deshalb, den von der ESK empfohlenen spezifischen Stresstest durchzuführen, der die konkreten Verhältnisse vor Ort berücksichtigt.

Als das Niedersächsische Umweltministerium ankündigte, einen Stresstest durchführen zu wollen, haben wir uns in Absprache mit dem Umweltminister mit Vorschlägen zu Wort gemeldet, was in jedem Fall betrachtet werden müsse.

Leider fielen diese Vorschläge samt und sonders unter den Tisch, als das Land sich in aller Stille darauf zurückzog, dann doch lieber nur eine (deutlich weniger aussagekräftige) Störfallanalyse durchzuführen.

Stadtbaurat kennt den Unterschied nicht

Der Stadt Braunschweig scheint egal zu sein, dass hier ein tendenziell wertloser Test in Auftrag gegeben wurde (vgl. unten): In Beantwortung einer Bürgerfrage behauptete Stadtbaurat Leuer, seines Wissens sei das Land Niedersachsen dabei, einen Stresstest zu planen bzw. durchzuführen. Dies ist jedoch nicht korrekt: Das Land hat sich auf die Minimaloption zurückgezogen, die die tatsächliche Gefährdungslage nicht abbilden kann (vgl. unten).

Eckert & Ziegler mauert

Selbst die vergleichsweise harmlose Störfallanalyse scheint Eckert & Ziegler jedoch ein Dorn im Auge zu sein: Der BISS liegen Hinweise darauf vor, dass das Unternehmen den externen Gutachtern des TÜV wichtige Informationen bislang vorenthält.

Das deutet darauf hin, dass an dieser Stelle nachgehakt werden muss: Wenn das Land einen Stresstest in Auftrag gibt, besteht eine Chance, das Risiko angemessen einzuschätzen, und dieses Risiko wird aller Voraussicht nach so hoch sein, dass eine Erweiterung der Firmen auch durch die Stadt Braunschweig zu untersagen ist.

Stresstest: Braunschweig kann selbst tätig werden

Bislang sind jedoch selbst unter einem „Grünen“ Umweltminister noch keinerlei Signale sichtbar, dass man die tatsächliche Gefährdung des deutschlandweit einmaligen Standorts ermessen möchte. Hinzu kommt, dass die endlose Überprüfung der Genehmigungen nach wie vor durch dieselbe Person vorgenommen wird, die maßgeblich seit den 90er Jahren die Genehmigungen für den Standort erteilt hatte: Man wird hier kaum erwarten können, dass alte Fehler aufgearbeitet werden oder dass der Wille besteht, sie überhaupt herauszuarbeiten.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Stadt Braunschweig selbst einen Stresstest in Auftrag gibt. Dies wäre mit Kosten verbunden – allerdings in einer Größenordnung, die weit unter den Kosten liegt, die im Falle eines Stör- oder Unfalls auf die Stadt Braunschweig zukämen.

Deshalb fordert die BISS die Stadt erneut auf, beim Umweltministerium auf die Durchführung eines echten, umfassenden Stresstests zu drängen und gegebenenfalls selbst einen Stresstest anzustrengen.

Störfallanalyse – was ist das?

Eine Störfallanalyse ist vom Prinzip her mit einer Risikobegutachtung vergleichbar. Eine solche Begutachtung ist das tägliche Brot von Versicherungsunternehmen mit Tausenden Versicherter, um den möglichen Schadensfall, der erfahrungsgemäß auch gelegentlich eintritt, auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Das funktioniert in etwa so: Eintrittswahrscheinlichkeit eines Unfalls mal voraussichtliche Schadenshöhe gleich Risiko. Aus dem Risiko berechnet sich dann der Versicherungsbeitrag, den jeder Versicherte zu zahlen hat.

In Braunschweig ist eine solche Risikoanalyse aber untauglich: Hier geht es um eine konkrete Gefährdung durch einen einzigen Betrieb. Hier kann man den möglichen Schaden bei einem Unfall nicht auf viele Schultern verteilen. Es ist an diesem Standort also nicht sinnvoll, die bloße Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens zu betrachten. Hier zählt nur der maximal mögliche Schaden, zumal die Firmen in Braunschweig in unmittelbarer Nähe zu Wohnhäusern und Schulen stehen. Wenn etwas passiert, interessiert hier nicht die Schadenswahrscheinlichkeit, denn der Schaden entstünde hier nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich.

Es gibt gute Gründe dafür, dass die ESK für sämtliche AKWs und Zwischenlager einen Stresstest durchgeführt hat, nicht nur eine Störfallanalyse: Eine Störfallanalyse geht nicht davon aus, was schlimmstenfalls geschehen könnte bzw. würde. Sie schätzt lediglich Wahrscheinlichkeiten ab.

Eine Störfallanalyse hätte die – tatsächlich erfolgten! – Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima für (zu) unwahrscheinlich erklärt; sie wären im Ergebnis nicht vorgekommen.

So etwas ist kein angemessener Untersuchungsstandard für Nuklearfirmen neben Schulen und Wohnhäusern.

Stresstest – was bringt das?

Ein spezifischer Stresstest würde die konkreten Verhältnisse vor Ort betrachten. Man würde also endlich einbeziehen:

  • Die Nähe zum Flughafen Braunschweig-Wolfsburg / allgemein Überflüge auch von Maschinen des Typs Airbus A 320 und größer, auch in der Start- und Landephase oder in Flugversuchen
  • Das chemische Inventar des Gesamtgeländes, z.B. Chlorameisensäureethylester, Toluol, Flusssäure…
  • Das gesamte radioaktive Inventar (bislang nur Entsorgungssparte betrachtet, nicht aber die starken Strahler aus Medizin und Technik; dementsprechend auch nicht betrachtet: GE Healthcare/Buchler)
  • Das maximal zulässige Inventar gemäß der Genehmigungen
  • Die 70-bar-Gasleitung unter dem Gelände
  • Den „Worst Case“, d.h. das, was unter diesen konkreten Umständen tatsächlich schlimmstenfalls passieren würde

Das Ergebnis eines solchen Stresstests würde schon deshalb, weil endlich risikobehaftete Parameter angemessen betrachtet würden, aller Wahrscheinlichkeit nach einen deutlich größeren Evakuierungsradius fordern. Schon beim ESK-Stresstest lag das Schulzentrum nur knapp außerhalb dieses Bereiches; bei einem spezifischen Stresstest fiele es voraussichtlich in die zu evakuierende (aber aufgrund der extremen Nähe kaum tatsächlich evakuierbare) Zone.

Dass Eckert & Ziegler offenbar bereits bei der bloßen Störfallanalyse Daten zurückhält, lässt vermuten, dass das Ergebnis eines echten, ausführlichen Stresstests sehr eindeutig ausfallen würde.

Die ESK schreibt selbst in ihrem Stresstest-Bericht auf S. 30:

„Die Möglichkeit des Zusammenwirkens von Freisetzungen radioaktiver Stoffe aus diesen Anlagen und Einrichtungen war daher von der ESK nicht zu untersuchen, sollte aber durch die zuständige Behörde betrachtet werden.

Ähnliche Situationen wie am Standort in Braunschweig könnten auch an anderer Stelle auftreten, wenn mehrere Anlagen am gleichen Ort vorhanden sind. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit ein Stressfall zu einer gleichzeitigen Einwirkung auf mehrere der am Ort vorhandenen Anlagen führen könnte, die insgesamt zu einer deutlich höheren Auswirkung führt als in den typisierten Rechnungen ermittelt wurde.“

Damit hätte die Stadt Braunschweig die vom Lüneburger Gericht geforderten guten Gründe, um bauplanerisch den Status Quo einzufrieren und eine Erweiterung zu verhindern.

Die BISS hat immer wieder Argumente und Forderungen dargelegt, die bislang aber vom Tisch gewischt wurden. Den Verantwortlichen sollte klar werden, dass viele Menschen in Stadt und Umland dahinterstehen.

Wenn Sie helfen wollen: Wenden Sie sich an Rat und Verwaltung der Stadt Braunschweig, den Niedersächsischen Umweltminister Wenzel, Landtags- und Bundestagsabgeordnete Ihrer Wahl und fragen Sie nach, bringen Sie diese Argumente ins Gedächtnis!

Unsere Forderungen für einen Stresstest können hier als Grundlage dienen.